Dr. Rebecca Seidler war am 7. Oktober 2023 auf dem Weg zur Synagoge um den Schabbat zu feiern, als sie von dem Anschlag der Hamas auf Jüdinnen und Juden in Israel erfuhr. Im Laufe des Gottesdienstes wurde klar, dass es sich hier um eine völlig neue Dimension der Gewalt handele.
Im Gespräch mit Bischof Dr. Heiner Wilmer zum Thema „Juden und Christen in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023“ berichtete sie von den Auswirkungen des Anschlags auf Jüd*innen, welche sie persönlich spürt, in ihrer Familie, in ihrer Gemeinde, am Arbeitsplatz: jüdisches Leben in Deutschland finde nur noch unter Sicherheitsmaßnahmen und Polizeischutz statt, und gleichzeitig werden Jüdinnen und Juden häufig mit ihren Antisemitismuserfahrungen allein gelassen. Bischof Wilmer machte deutlich: „Antisemitismus ist ein Angriff auf die Demokratie und ein Angriff auf die Würde, und Antisemitismus ist Sünde.“ Wichtig sei, wach zu bleiben und den Mund aufzumachen. Dazu gehöre auch, unmissverständlich zu benennen, dass wir zur Zeit Parteien mit klaren antisemitischen Inhalten haben: AfD und BSW.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor 60 Jahren und der dort verabschiedeten Erklärung Nostra aetate wird das Judentum zum ersten Mal wertschätzend als konstitutiv für das Christentum bezeichnet. Jüd*innen und Christ*innen seien Geschwister im Glauben, dieser Glaube habe eine gemeinsame Wurzel und diese Wurzel sei Heilig. Bischof Wilmer sprach sich dafür aus, zuerst den Menschen zu sehen, die gleiche Würde jedes Menschen, denn aus seiner Sicht liebe Gott jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion. Dazu ergänzte Frau Seidler, in dem Wunsch, nur den Menschen zu sehen, drücke sich auch eine privilegierte Perspektive aus. Für Jüdinnen und Juden sei ihre Religion klarer Bestandteil ihrer Identität, sie nicht anzuerkennen bedeute die Auflösung des Judentums. Vielmehr müsse man Unterschiede aushalten. Bischof Wilmer stimmte zu: Man müsse Unterschiede sehen und über diese in Verbindung kommen.
Frau Seidler formulierte klare Wünsche an die Gäste der Podiumsdiskussion und die Gesellschaft: Jüd*innen zu glauben, wenn sie von antisemitischen Vorfällen berichten, den Antisemitismus zum Problem zu machen, statt der Menschen, die ihn erleben, und die gleiche Entrüstung zu zeigen, die bei anderen menschenfeindlichen Ausschreitungen gezeigt werden würde.
Dr. Rebecca Seidler ist Erste Vorsitzende des Landesverbandes der israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, Dr. Heiner Wilmer SCJ ist Bischof von Hildesheim.
Das Israel Jacobson Netzwerk veranstaltete das Podiumsgespräch im Rahmen der Jüdischen Kulturtage in Harz und Heide zusammen mit der Katholischen Akademie des Bistums Hildesheim. Durch den Abend führte der Historiker und Vorstandsmitglied des IJN, Dr. Jörg Munzel.
Mehr von Rebecca Seidler und Bischof Wilmer hören Sie in der Sendung vertikal - horizontal. Glaubens- und Gewissensfragen mit dem Titel "Ich knie mit den Opfern" vom Sonntag, 06. Oktober 2024. Die Sendung finden Sie hier: https://www.ndr.de/nachrichten/info/epg/vertikal-horizontal-Glaubens-und-Gewissensfragen,sendung1478436.html