Nicola ist zwar offiziell der Wächter der Dormitio-Basilika, versteht sich aber eher als Gastgeber denn als Türsteher. An der „dritt-wichtigsten Kirche der Christenheit“, der Überlieferung nach dem Ort des Pfingstereignisses und wo sich gewöhnlich viele Pilgerinnen und Pilger tummeln, herrscht derzeit eine merkwürdige Ruhe. Nikodemus Schnabel, Abt der Dormitio in Jerusalem und des Priorats Tabgha am See Genezareth, schildert im Gespräch mit Brigit Langhammer, NDR, dass seit dem Ausbruch des Krieges nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 kaum noch Besucher zur Abtei kämen. Wenn in einer solchen Situation wichtige Einnahmen für die Klosterläden und die dortige Cafeteria wegbrechen, denkt das deutsch sozialisierte Gemüt an Kurzarbeit, betriebsbedingte Kündigung und ALG I – für die Mitarbeiter des Klosters, die nicht dem Orden angehören, gibt es dieses Sicherheitsnetz allerdings nicht. Deshalb haben sich die Mönche entschieden, ihre Altersrücklagen anzuzapfen, um die Mitarbeiter weiter bezahlen zu können.
Angst, das merkt man im Gespräch immer wieder, hat Abt Schnabel keine: „Kommen Sie jetzt, Sie werden die Pilgerfahrt Ihres Lebens haben, ohne overtourism.“ Vom Krieg könne man sich, wenn man wolle, distanzieren. Es gebe eine „merkwürdige Normalität in der Nicht-Normalität“, der Bus fährt weiterhin (wenn auch nicht mehr bis zur Endstation an der libanesischen Grenze), und Raketen werden auf die Infrastruktur gelenkt, nicht in die Nähe der Heilige Stätten. Der Krieg finde in einer „Black Box“ statt, in den Gazastreifen könne sich kein Tourist verirren, ohne vorher von einer Militärsperre aufgehalten zu werden.
Und doch ist das Leben schwerer geworden in Jerusalem. Wenn er mit Habit und Brustkreuz durch die Stadt gehe, werde der Benediktiner schon auch mal verbal angegangen, angespuckt, getreten: „Go home to Rome!“ Was den Abt dabei besonders ärgert, ist nicht nur, dass seine Anzeigen bei der Polizei weggelächelt würden, sondern dass die Angreifer ihre Religion als Legitimation für ihr Verhalten heranzögen. Gläubige Menschen, da ist sich Abt Schnabel sicher, würden sich nicht in der Weise über einen anderen erheben, weil vor Gott letztlich alle Menschen auch arme Sünder seien. Das versichern ihm auch viele der Rabbiner, mit denen er befreundet ist: „Wer im Namen meiner Religion dich hasst, da spiele ich nicht mit.“ Das Problem seien die national-religiösen jüdischen Radikalen, die auch in der Regierung sitzen die Ansicht propagieren, dass das Land Israel ausschließlich den Juden gehöre.
Trotz dieser Herausforderungen wollen der Abt und seine Benediktinerbrüder die Türen der Abtei offen lassen und „Horizonte dehnen“, denn die Stadt brauche einen Ort, an dem die Menschen sich nicht in legal/illegal, Christ/Jude oder Jude/Palästinenser trennen lassen dürfen, sondern schlicht Menschen sein können. Eines der ersten Opfer des Krieges sei das Kulturleben gewesen, und da der Mensch doch durch schöpferische Tätigkeit in Kontakt mit seiner Würde komme, haben die Mönche ihre Abtei zunehmend zum Kulturort gemacht. Dort finden Ausstellungen und Konzerte statt. „Der Mensch ist am meisten Mensch, wenn er Kunst spürt.“ Und die Menschen der Dormitio, Mönche wie Angestellte, sind eine Insel der Stabilität und halten mit ruhiger Entschlossenheit diesen Ort des gegenseitigen Zuhörens offen.