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v. l. n. r. Susann Börner, Peter Kolakowski, Prof. Dr. Gabriele Meyer © Katholische Akademie des Bistums Hildesheim
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„Pflege ist gesellschaftliche Friedenssicherung“

Pflege ist existenzrelevant, da sie die Grundversorgung und Unterstützung von Menschen in Lebensphasen größter Vulnerabilität sicherstellt. Sie ist letztlich auch Konsequenz der Wahrung der Menschenwürde. Doch wie sieht menschenwürdige Pflege aus? Darüber diskutierten Prof. Dr. Gabriele Meyer und Susann Börner am 20. Februar im Künstlerhaus.

Für Prof. Meyer, Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, umfasst menschenwürdige Langzeitpflege im Alter nicht nur zeitgerechte Medikation und Patientensicherheit, sondern auch Behaglichkeit, biografische Orientierung und den Schutz der persönlichen Integrität der zu Pflegenden. Allerdings sind die Qualitätsstandards je nach Einrichtung unterschiedlich und nicht einheitlich geregelt; Wohlbefinden, Respekt und Würde werden nicht in die Qualitätskriterien einbezogen. Trotz gleicher Finanzierung durch die Pflegeversicherung gibt es erhebliche Unterschiede in der Praxis, nicht nur zwischen privaten, staatlichen und freigemeinnützigen Trägern. Diese Unterschiede betreffen beispielsweise die Reinvestition von Überschüssen oder die Führung der Häuser.

Die Erwartungen an gute Pflege sind gestiegen – sowohl bei Patienten, Angehörigen als auch bei Pflegenden.  Das Pflegepersonal in Krankenhäusern steht jedoch vor Herausforderungen: Neben dem Rückgang qualifizierter Bewerber gebe es eine "Flucht vor der Arbeit am Bett" und auch einen Anspruchs- und Identitätsverlust, so Susann Börner, Pflegedirektorin am St. Bernward Krankenhaus Hildesheim. Pflegende müssten z. B. in einer 8-Stunden-Schicht etwa 2,7 Stunden für Dokumentation aufwenden, die eigentliche Pflegetätigkeit rücke immer mehr in den Hintergrund. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen könnte durch Innovation erreicht werden: Das St. Bernward Krankenhaus folgt dem Prinzip des "lean hospital", bei dem Effizienz gesteigert und Ressourcenverschwendung vermieden werde. Zudem beschäftigt es eine Integrationsbeauftragte, die bei der Einstellung ausländischer Fachkräfte hilft, und setzt Streetworker für die Ausbildung ein, um Lehrkräfte bei sozial-pädagogischen Aufgaben zu entlasten.

Prof. Meyer kritisiert die "Projektitis" in der Pflege: Gute Ansätze kämen oft über die Modellphase nicht hinaus, und die Umsetzung von Forschungsergebnissen auf der politischen Ebene sei träge. "Ideen haben wir, aber wir brauchen eine Vergütung", ergänzt Börner. Es gebe nämlich jetzt schon einige entgeltfreie Angebote, wie beispielsweise die Hebammensprechstunde, auf die sich Patienten verlassen, und die eigentlich entlohnt werden sollten.
Die Expertinnen raten auch jeder und jedem, sich selbst Gedanken um eine mögliche Pflegebedürftigkeit zu machen, die Pflegeversicherung sei immer nur eine "Teilkasko" gewesen, die lediglich die Grundversorgung sicherstellt. Alle sollten Alternativen für eine Versorgung ausloten (u. a. häusliche Pflege, Tagespflege, Wohngemeinschaft) und, soweit möglich, auch mit Blick auf Finanzierung vorausschauend denken. Angemerkt sei hier, dass dies im Fall von Menschen mit geringerem Einkommen nur begrenzt möglich ist und eine solidarische und gleichzeitig menschenwürdige Gesundheitsversorgung dauerhaft herausfordert.

Von der Politik wünschen sich die Pflegeexpertinnen einen "mutigen Gesundheitsminister", damit die positiven Entwicklungen, die mit dem Pflegekompetenzgesetz eingeleitet wurden, weitergeführt werden können.

Die Podiumsdiskussion Versorgung: Ausreichend? Pflege zwischen Kostendruck und Qualität ist Teil der Reihe Markt statt Mensch? Gesundheitsversorgung im ethisch-ökonomischen Spannungsfeld der Katholischen Akademie des Bistums Hildesheim und der Bischöflichen Stiftung Gemeinsam für das Leben. Durch den Abend führte Peter Kolakowski.