„Unser Pfarrer macht das nicht.“
„Ist es nicht langsam gut? Man muss die Toten ruhen lassen.“
„Mit symbolischen Akten ist doch keinem geholfen.“
Über den Taten sexueller Gewalt liegt oft ein Schweigen, eine Sprachlosigkeit, bei Betroffenen wie auch bei Angehörigen und Wissenträger*innen. Anlässlich des Gedenktags für Opfer sexuellen Missbrauchs kamen am 19. November Expert*innen zu dem Podiumsgespräch „Nicht wegsehen. Sexualisierte Gewalt und Aufarbeitung in Hannover und im Bistum Hildesheim“ im Tagungshaus der Katholischen Akademie zusammen. Vertreten waren der Betroffenenrat Nord durch Andreas Peters und Nicole Sacha, die Regisseurin des Theaterstücks „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“, welches sich mit sexualisierter Gewalt in der Kirche auseinandersetzt, Ayla Yeginer und Jonas Schrader, Referent der Stabsabteilung Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt des Bistums Hildesheim.
Bis einem Kind, das von sexualisierter Gewalt durch einen Kleriker berichtet, geglaubt wird, vergeht oft viel Zeit. Für viele Betroffene und Angehörige erschüttert der Übergriff die Grundlagen ihres bisherigen Lebens, insbesondere auch ihr Glaubenskonstrukt, die Basis ihres Seins. Und „weil nicht sei kann, was nicht sein darf“, werde das Problem beim Kind gesucht, erklärt Andreas Peters. Hinzu komme die Dimension des spirituellen Missbrauchs, wenn der Täter etwa eine Strafe Gottes androht, wenn das Kind sich jemandem anvertraut, so Ayla Yeginer. Sie ergänzt: Die Aufklärung werde durch kircheninterne Strukturen erschwert, einerseits durch die Macht der Kleriker und ihre Brüderlichkeitsgefüge, aber auch durch die Angst der Mitarbeitenden vor Jobverlust, sagte Yeginer.
Wenn es zu einer Kontaktaufnahme von Betroffenen kommt, so erklärt es Jonas Schrader, komme die erste Meldung meist per E-Mail oder Telefon. Die unabhängigen Ansprechpersonen lüden dann zu einem Treffen ein und berieten die Betroffenen. Es gäbe die Möglichkeit, ein sogenanntes „Verfahren zur Anerkennung des Leids“ bei der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) anzustreben. Die UKA ist eine zentrale Organisation, die die Plausibilität der Vorwürfe prüft und deren Mitglieder in keinem Anstellungsverhältnis zur Kirche stehen. Die UKA legt den Leistungsumfang fest; die zuständige Diözese ist verpflichtet, die Leistung zu finanzieren, wenn der Täter nicht mehr belangt werden kann. Kritik gibt es u. a. am Namens des Verfahrens. Statt einer „Anerkennung des Leids“ wünscht sich Yeginer eine „Anerkennung der Schuld des Täters“. Nicole Sacha bemängelt, dass es keine Anhörung bei der UKA gäbe und die Leistungsbemessung völlig intransparent wäre. Irgendwann bekäme die oder der Betroffene einen Brief mit einer Summe, könne aber nicht nachvollziehen, nach welchen Kriterien entschieden wurde.
Das Bistum Hildesheim hat ein Ampelsystem eingeführt, das, so Schrader, anzeige, ob die in den Missbrauchsstudien formulierten Empfehlungen schon umgesetzt wurden: grün bedeute, dass die Umsetzung erfolgt ist, gelb, dass sie in Teilen erfolgt ist, rot, dass sie nicht erfolgt ist. Den Stand der Umsetzung bewertet der Betroffenenrat allerdings teilweise anders als das Bistum, deshalb werden künftig die Ampeln des Betroffenenrats und des Bistums nebeneinander veröffentlicht. Dies lobt Sacha: „Hildesheim macht mit der Ampel einen guten Job.“ Zu den Aufgaben der Stabsabteilung gehört auch die Sichtung der Akten im Bistumsarchiv, derzeit seien etwa 60 % der Unterlagen gesichtet. Für Hannover gehe man derzeit von 22 Tatverdächtigen aus, so Schrader, in einem Zeitraum von hauptsächlich den Sechziger- bis Neunzigerjahren. Die Ausmaße seien riesig; Sacha berichtet, dass ihr der Bistumsarchivar gesagt habe: „Wenn ich zehn Gemeinden im Bistum finde, wo kein Täter war, habe ich nicht richtig gesucht.“
Trotz der Omnipräsenz des Themas sei der Wunsch nach Aufklärung nicht in jeder Gemeinde gleich stark. Einige seien sehr aktiv und rege, andere möchten sexualisierte Gewalt nicht auf ihrer Agenda sehen. Schrader betont die Wichtigkeit von Erinnerungskultur. Gemeinden, die wüssten, was passiert sei, hätten ein Interesse an Aufarbeitung. In diesem Zusammenhang weist Yeginer darauf hin, dass es einen strukturellen Täterschutz gäbe und wenige Informationen verbreitet würden. Aus ihrer Sicht müsse der Druck auf die Kirchen erhöht werden. Sowohl von innen aus den Gemeinden heraus als auch aus der Gesellschaft. Zudem könnte jede*r den Betroffenen helfen, indem er oder sie das Thema sexualisierte Gewalt aus der Tabuzone holt. Ein offenes Ohr haben, Gesprächsangebote schaffen: Das helfe Betroffenen, sich zu öffnen und zeige Solidarität.
Veranstaltet wurde die Diskussion vom ka:punkt, der Stabsabteilung Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt des Bistums Hildesheim und der Katholischen Akademie des Bistums Hildesheim. Das Theaterstück „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“ wurde am 26.11. im Pavillon Hannover und wird am 5.12. im Deutschen Theater Göttingen aufgeführt, präsentiert von Stabsabteilung und Akademie. Der Eintritt ist kostenfrei, Anmeldung ist erforderlich.