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© Katholische Akademie des Bistums Hildesheim, Schnecker
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„Spur und Abweg“

Am 22. August las Kurt Tallert, als Musiker auch bekannt als Retrogott, im Rahmen der Jüdischen Kulturtage des Israel Jacobson Netzwerks aus seinem Werk „Spur und Abweg“.

In „Spur und Abweg“ geht es vordergründig um Tallerts Vater Harry, der 1927 geboren und im Nationalsozialismus als sogenannter „Halbjude“ verfolgt und interniert wurde. Es geht aber auch um eine deutsche, jüdische Identität, die für Harry Tallert ambivalent blieb. Gern hätte Harry selbst über seine Gedanken geschrieben, hinterließ dem Sohn aber nur einen fragmentarischen Nachlass, den er, kombiniert mit extensiver eigener Recherche, schriftstellerisch aufarbeitet.

Neben seinen Lesepassagen aus dem Kapitel „Terezín 2019“ performte Tallert drei seiner Songs, die von seiner Familiengeschichte inspiriert sind: Andenken, Wider das Vergessen und In Umlauf. Im Gespräch mit Akademiereferentin Frieda Himstedt sprach er über seine Sicht auf Gedenkstätten, den Neubeginn seiner Familie nach der Verfolgung und Identität. Identität beschreibt Tallert als etwas Bedrohliches, das von außen auferlegt wird, auch in Form von Zuschreibungen wie „Halbjude“ und „Arier“. Den Verlauf der Verfolgung seines Großvaters beschreibt Tallert in mehreren Stationen. Zunächst wurden dem Großvater absurd anmutende Einschränkungen auferlegt - er durfte nur in Anwesenheit seiner „arischen“ Ehefrau Radio hören; die Umsetzung wurde von der Gestapo überprüft. Die Verfolgung endete für ihn in Theresienstadt, wo er die Befreiung erlebte.

Nach 1945 war Harry Tallert zunächst schlicht glücklich, sich wieder in einem Verein anmelden zu können, ohne nach seiner Abstammung gefragt zu werden. In der Nachkriegszeit unterstützte er erfolglos seinen Vater, Kurt Tallerts Großvater, im Kampf um die Anerkennung von dessen Verfolgungsschäden. Eine Erfahrung, die für Harry Tallert vermutlich die Auseinandersetzung mit der eigenen Verfolgungsgeschichte erschwerte. Anstatt einer strukturierten Verschriftlichung, schrieb er Notizen, diktierte der Ehefrau seine Gedanken und nahm Tonbänder auf. Aus dieser Sammlung und seinen Nachforschungen in Fachliteratur, Familiendokumenten, Gedenkstätten und weiteren Quellen setzt Kurt Tallert nicht nur ein facettenreiches Bild seiner Familie(ngeschichte) zusammen, sondern auch der Kontinuitäten von rechtem Gedankengut in der Gesellschaft.

Das Kurzinterview nach der Lesung finden Sie hier.