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Julia Schönbeck, Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ, Nina Odenius, Prof. Dr. Markus Schiefer Ferrari, Ulrike Bruschke (v. l. n. r.) © Katholische Akademie Hannover
Akitivistin Julia Schönbeck und Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ © Katholische Akademie Hannover
Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ antwortet auf die Fragen von Moderatorin Nina Odenius (DOMRADIO.DE) © Katholische Akademie Hannover
Moderatorin Nina Odenius, Neutestamentler Prof. Dr. Markus Schiefer Ferrari und Ulrike Bruschke, Leiterin des Familienzentrums St. Bernward, diskutieren. Die Veranstaltung wurde von Gebärdensprachdolmetscherinnen übersetzt. © Katholische Akademie Hannover
Julia Schönbeck, Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ und Nina Odenius © Katholische Akademie Hannover
Das Podium in der Dombibliothek Hildesheim © Katholische Akademie Hannover

Vollkommen (und) normal. Wie inklusiv sind Kirche und Theologie?

Noch Luft nach oben

Lesen wir die Heilungsgeschichten der Bibel inklusiv, stoßen wir schnell an die Grenzen dessen, was wir aus heutiger Sicht als Teilhabe von Menschen mit Behinderung bezeichnen würden. Dies wird auch in der Geschichte der Heilung eines Gehörlosen im Markusevangelium deutlich, die Moderatorin Nina Odenius bei der Podiumsdiskussion "Vollkommen (und) normal - Wie inklusiv sind Theologie und Kirche?" am 25. April in der Dombibliothek Hildesheim vorlas.

In der Textstelle geht es um einen gehörlosen Menschen, der von Jesus geheilt wird. In dieser Heilungsgeschichte, so interpretiert es der Neutestamentler Professor Markus Schiefer Ferrari, bleibe der Mensch mit Behinderung ein bloßes Demonstrationsobjekt, es finde kein Austausch statt. Es entstehe der Eindruck, dass "Menschen zur Normalität nach oben geheilt werden müssten", so Schiefer Ferrari.

Bischof Dr. Heiner Wilmer gestand ein, dass es in der Vergangenheit Schwierigkeiten gegeben habe beim Umgang der Kirche mit Menschen mit Behinderung. Wer Heilungsgeschichten mit den Erkenntnissen von heute lese, "habe Stress". Stattdessen sei es nötig, die Tiefenschicht der Bibel zu erreichen, die unterhalb der Erzählung liege, die überepochal sei, und über den problematischen Zuschreibungen wie binär/nicht-binär, patriarchalisch/matriarchalisch, gesund/krank stehe. In der kirchlichen Praxis gebe es besonders im Abbau von baulichen Barrieren in Gebäuden des Bistums noch "Luft nach oben". Aus dem Plenum kam dazu der Hinweis, dass statt von "barrierefrei" besser von "barrierearm" gesprochen werden sollte, dem der Bischof zustimmte.

Die Theologiestudentin und Aktivistin Julia Schönbeck betonte, dass ihre eigene Teilhabe immer wieder an Grenzen stoße. Zum einen bauliche Grenzen, aber auch Grenzen, die Menschen in ihren Köpfen zögen: bezogen darauf, was sie als Mensch mit Behinderung leisten könne und sich zutrauen sollte. Um eine Änderung herbeizuführen, wünscht sie sich, dass Diversität in die Leitungsebenen der Kirche einziehe. Und außerdem, dass mit konkreten Maßnahmen angefangen werde, die mehr Teilhabe ermöglichten.

Für Ulrike Bruschke, Leiterin des Familienzentrums St. Bernward in Salzgitter, sind Kinder Vorbilder. Sie seien neugierig und bedingungslos. Damit würden sie Kindern mit Behinderung helfen, zu ihrem Sein zu finden: "Menschen, die in ihrem Sein sicher sind, helfen Menschen, helfen anderen zu ihrem Sein." Eine Inklusionsgruppe könne da manchmal wie eine Tüte Haribo Colorado sein: bunt gemischt, einiges umbekannt, vieles zu entdecken, und um es kennenzulernen, müsse man es einfach versuchen.

Moderatorin Nina Odenius stellte die Frage, ob der Himmel für sie als blinde Frau barrierefrei sei und wie sich Heil zu Heilung verhalte. Aus dem Publikum wurde eindrücklich geäußert: Heilung müsse von der Gesellschaft her gedacht werden, Heilung liege in der Veränderung der Einstellung der Menschen und in der voraussetzungslosen Akzeptanz aller anderen Menschen in ihrem So-Sein. Für umfassende Inklusion muss sich das Mindset der Gesellschaft noch tiefgreifend verändern, die praktische Umsetzung erfordert auch im kirchlichen Bereich noch weitergehende Maßnahmen.